(gemäß den vertrauenswürdigen Recherchen der beiden "Hüter des Heiligen Grals", Tim Whittington für 1967 bis 1969 und Eddi Laumanns für 1969 bis 2004)
In den letzten rund 35 Jahren hat es einigen Leuten hin und wieder ganz gut in ihren Kram gepasst, zu behaupten, dass sie an der Erfindung oder zumindest der europaweiten Verbreitung des Rallycross maßgeblich beteiligt waren. Es gibt aber auch Schlauberger, die sagen, dass der Rallycross-Sport in Wahrheit vom Autocross abstammt, während andere beteuern, dass die "Mini-Monte" von Brands Hatch die eigentliche RX-Wurzel sei. Tatsache ist jedoch, dass Autocross bereits in den späten 1940ern im United Kingdom gefahren wurde, also rund 20 Jahre vor dem ersten Rallycross-Rennen. Allerdings benutzten die Fahrer dafür meist offene Spezialfahrzeuge oder auch Straßenautos, auf einzig nicht-permanenten Strecken mit ausschließlich losem Belag (Erde, Gras, Sand, Schotter usw.). Und den im Februar 1963 einmalig ausgetragenen Wettbewerb auf den Parkplätzen der Rennstrecke von Brands Hatch in England kann man vermutlich als die Geburtsstunde aller späteren so genannten Rallyesprints ansehen, kämpfte hier doch jeweils ein einzelnes Auto gegen die von Schneematsch und Schlamm arg deformierte Piste sowie die Stoppuhr der Zeitnehmer. Wie auch immer die zwei wahren Erfinder des Rallycross hatten weder vor, Autocross zu erneuern, noch eine eher eintönige "One-man-show" im Sinn, als sie sich Ende der 1960er ausdachten, dass vier Rallyeautos gleichzeitig (!) über eine relativ kleine und gut überschaubare permanente (!) Rennstrecke gehetzt werden könnten, auf der es beides (!), sowohl Asphalt- als auch Schotterabschnitte gibt. Und hätten sie im Frühjahr 1967 nur den weitaus treffenderen Namen RallyRacing für ihren Geistesblitz gewählt, wäre der neue Motorsport vielleicht sogar noch größer und erfolgreicher geworden ...
Die Geschichte unseres Rennsports war leider für mindestens ein Vierteljahrhundert total verschlampt worden. Ich muss sogar gestehen, dass auch ich frühe Texte (für meine RX-Jahrbücher usw.) über die Entstehung unserer Disziplin geschrieben habe, indem ich doch etwas zu sorglos Informationen aus einigen älteren belgischen und englischen Publikationen übernahm. Schließlich wurde ich ja selbst erst nach dem EM-Lauf am 1. September 1974 in Valkenswaard zu einem "Apostel der Rallycross-Glaubenslehre". England war damals für vernünftige Recherchen meinerseits einfach zu weit weg. Außerdem hatte ich jede Menge Vertrauen in die "erfahreneren" Kollegen, die mir bereits einige Dienstjahre voraus hatten. Und wenn ein noch unbedarfter junger Schreiberling (wie häufig der Fall ...) auf vage Quellen zurückgreift, dann überleben auch Märchen, Halbwahrheiten, Gerüchte und Hörensagen-Infos weiter und weiter. Als aber der Rallycross-Sport Anfang 1992 sein 25-jähriges Dienstjubiläum feiern wollte, hat mein britischer Freund und Kollege Tim Whittington einige Monate lang eifrig nach den Wurzeln unseres geliebten Rennsports gesucht. Er schaffte es dabei tatsächlich, die zwei "untergetauchten" wahren Erfinder wieder aufzuspüren und hat persönlich mit ihnen über das Thema "Wie alles begann" gesprochen. Danach war er endlich in der Lage, auch die allerfrüheste RX-Historie Schritt für Schritt wieder ins rechte Licht zu rücken. Wenn Sie jedoch mehr als die nun folgenden, eher etwas knapp geratenen Fakten über "Rallycross im Jahre 1" wissen wollen, versuchen Sie doch einmal an eine Kopie der Ausgabe Nr. 4 von Tims eigenem Magazin "Rallycross World" mit dem 4-seitigen Interview mit "The daddies" oder "The men who made Rallycross" zu kommen.
Das absolut erste Rallycross-Rennen wurde am Samstag, dem 4. Februar 1967 auf der Rennstrecke Lydden Circuit (Kent) ausgefahren, auf halbem Weg zwischen dem Fährhafen Dover und der Stadt Canterbury in Südostengland gelegen. Der "750 Motor Club" (Tunbridge Wells Centre) organisierte den Wettbewerb für ITV und "ABC Television" (und nicht, wie immer noch gerne behauptet wird, für die BBC, die erst viele Monate später auf den längst fahrenden Zug aufsprang!), weil die für ihre Sendereihe "World Of Sport" einen leicht zu filmenden "egal-was-für-Wetter-Motorsport" brauchten, mit dem sie Programmlücken (entstanden z. B. durch die im Winter häufig sehr kurzfristig abgesagten Pferderennen) stopfen konnten. Die wahrhaftigen Väter des Neugeborenen waren der damals für ITV tätige Fernsehproduzent Robert Reed und der Rennveranstalter Bud Smith († 1994), während der heute legendäre Streckenbetreiber Bill Chesson († 1999) Lydden Circuit für diesen Zweck vorbereitete und zur Verfügung stellte.
Die einzig wahren Väter des Rallycross-Sports: (von links nach rechts) Rennveranstalter Bud Smith, ITV-Fernsehproduzent Robert Reed und Lydden-Circuit-Betreiber Bill Chesson. Und Rennkommentator John Sprinzel (ganz rechts) gab dem neuen Sport den Namen Rallycross.
Als "Geburtshelfer" dürfen auch die beiden Journalisten Barrie Gill und John Sprinzel nicht vergessen werden. Eben dieser Sprinzel, der sich auch als Rallyefahrer und Rennkommentator bereits einen Namen gemacht hatte, hat sich übrigens laut Reed und Smith noch kurz vor dem Event den (heutzutage eher ungeliebten) Namen Rallycross einfallen lassen. Zur Jungfernfahrt waren ausschließlich eingeladene Rallyefahrer (!) zugelassen, die ihre Autos jeweils in Vierergruppen über eine Piste aus Asphalt, Grasflächen und wirklich rauen Schotterpassagen prügelten. Am Ende hieß der Sieger Vic Elford der damalige Allround-Rennfahrer schlechthin (Formel 1, Sportwagen, Rallyes usw.) und spätere Rallye-Monte-Carlo-Sieger (1968) hatte sich für das Rennen beim Porsche-Importeur AFN einen roten 911er direkt aus dem Schaufenster entliehen. Obwohl fast alle Autos, die man ohne jegliche Erfahrungswerte völlig ungeschützt aufeinander losgelassen hatte, am Abend in einem wahrhaft lausigen Zustand waren (Lampen, Scheiben, Wischer, Spiegel, Kotflügel, Kühlerhauben etc. einfach alles war kaputt), war das Rennen für alle Beteiligten ein Riesenspaß und beim TV-Publikum ein totaler Erfolg geworden. Danach dauerte es gerade einmal fünf Wochen, bis in Lydden zu einer Fortsetzung des Spektakels geblasen wurde.
"Quick Vic" Elford: Sieger des ersten Rallycross-Rennens.
Nach drei oder vier weiteren nationalen Rennen wurde das erste internationale (!) Rallycross (bei dem auch F1-Star Graham Hill und Rallye-Ass Roger Clark am Start waren und sich einen Ford Lotus Cortina GT "teilten") am Samstag, dem 25. November 1967 in Lydden organisiert und von Andrew Cowan mit seinem Werkswagen, einem Sunbeam Imp gewonnen. Es verlor jedoch seine aus dem Ausland gemeldeten Teilnehmer um fünf vor zwölf, weil die Briten wegen der gerade grassierenden Maul- und Klauenseuche die RAC-Rallye 1967 äußerst kurzfristig hatten absagen müssen und die für Lydden groß angekündigten "Foreigners" gleich wieder nach Hause geeilt waren. (Anm.: Leider wurde die berühmt-berüchtigte Rinderseuche zum Ende des Jahres 1967 später immer wieder in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Geburtsstunde des Rallycross-Sports gebracht, obwohl das wirklich erste Rennen bereits ein dreiviertel Jahr zuvor organisiert worden ist!) Die RX-Premiere des "Thames Estuary Automobile Club's" (TEAC), das berühmte "Original Clubman's Rallycross", ging am Tag nach dem mehr oder minder geplatzten "1st International Rallycross" über die Lydden-Bühne. Hier durfte sich erstmals eine Meute "kleiner" Motorsportler auf dem neuen Terrain der "Big Shots" austoben. Und genau damit war dann auch der Weg für die erste Generation echter Rallycross-Spezialisten gepflastert, von denen gar nicht wenige vom Autocross oder den im United Kingdom nach wie vor sehr beliebten "Trials" oder "Grasstrack Races" kamen.
Ende 1967 wurde Rallycross auch vom Norden Großbritanniens adoptiert und etablierte sich in Croft (North Yorkshire). Rund zwei Jahre später kam dann mit Cadwell Park (Lincolnshire) ein dritter und mittelenglischer Schauplatz hinzu, den RX-Daddy Bud Smith noch lange Zeit später als "the best venue there ever was" bezeichnete. Der neue Motorsport wurde auf der Insel immer populärer und bald darauf auch in anderen europäischen Ländern bekannt. Der holländische Fernsehregisseur Rob Herzet (AVRO) hatte den TV-Renner für inzwischen fast 10 Millionen (!) Briten pro Event bereits 1968 bei einer England-Reise für die Niederlande entdeckt und nach seiner Rückkehr dem Rallyefahrer und Motorjournalisten Gerard van Lennep schmackhaft machen können. Der fand auch irgendwann einen geeigneten Austragungsort dafür und so wurde das erste Rallycross auf dem Festland am Samstag, dem 7. Juni 1969 auf einem Militärgelände zwischen Venlo und deutscher Grenze (keine 20 km von meinem heutigen Wohnort entfernt) organisiert. Knapp zwei Dutzend Teilnehmer hetzten ihre zumeist vor dem Schrottplatz geretteten "Gurken" über ein Stück Flugzeug-Landebahn aus Beton, quer durch ein Heidegebiet und zur Gaudi aller durch eine etwa 40 Meter lange, rund 10 Meter tiefe Schlammgrube für Panzer-Tests und am Ende des Tages war Hans Kok mit seinem eher hochwertigen NSU 1200 TT der Sieger des Spektakels. Auch hier und jetzt wurde der neue Spaß auf Anhieb ein echter TV-Knaller und so gab man Herzet endgültig grünes Licht. Es folgten drei weitere Läufe zur "AVRO-Trophee" und Mijnheer Kok schrieb sich am 16. August 1969 den ersten RX-Meistertitel der Niederlande aufs Panier. (Apropos Rob Herzet: Den ehemaligen AVRO-Mann zog es später nach Deutschland und hier führte er für das ZDF Ende der 1980er in solch überaus beliebten Fernsehserien wie "Die Wicherts von nebenan", "Wartesaal zum kleinen Glück" und "Wie gut, dass es Maria gibt" die Regie. Und seit 1994 produziert er für RTL den Polizei-Dauerbrenner "Die Wache".)
Ebenfalls noch im Jahre 1969 soll Ford Of Britain Werks-Rallycrosser (wie den späteren mehrfachen Hot-Rod-Weltmeister Barry "Leapy" Lee) auf eine Promotion-Tour zu einem so genannten Ford-Sport-Tag nach Italien gesendet haben. Leider konnte ich bis dato den genauen Ort des Einsatzes nicht herausfinden und auch nicht, woran die Guys dort wirklich teilgenommen haben. Es muss aber nicht zwingend ein Rallycross-Wettbewerb gewesen sein, weil Ende der 1960er und Anfang der 1970er die jetzt noch engen Grenzen zwischen Autocross, Rallycross und ähnlich gelagerten Off-road-Veranstaltungen nicht endgültig abgesteckt waren. Einige der damaligen "Rallycross-Strecken" verfügten noch nicht über Beton- oder Asphalt-Passagen, Rallycross-Fahrer nahmen öfter mal an Autocross-Rennen oder irgendwelchen Demo-Wettbewerben teil (häufig auch nur im Rahmen einer so genannten Gästeklasse) und Hersteller ließen ihre Rallycross-Autos hin und wieder bei Rennen eines gänzlich anderen Genres starten (wie z. B. die Sportabteilung von DAF, die 1973 das Eisrennen von Serre Chevalier in Frankreich mit genau den beiden 4WD-555-Coupés beschickte, die Jan und Harry de Rooy zuvor beim Rallycross eingesetzt hatten).
In den frühen 1970ern hatte fast jeder europäische Motorsportler mit Interesse an Rennen auf losem Untergrund zumindest schon mal etwas von dem neuen Spaß Rallycross gehört. Österreichs Herbert Völker, der auch heute noch als der unbestrittene Rallye-Guru unter seinen deutschsprachigen Kollegen gilt, schrieb in seinem Magazin "Autorevue" vom April des Jahres 1971: "Autocross ist schön. Rallycross ist eine Orgie." ... Zwei, für viele Jahre "Großkopferte" unserer Szene, der Belgier Aloïs Drees (Anm.: Das erste, damals so genannte Rallyrace [!] von Maasmechelen-Opgrimbie wurde zwar schon im Juni 1970 ausgefahren, doch verfügte die Duivelsberg-Piste jetzt noch nicht über "befestigte" Streckenteile. Die Asphaltpassagen wurden erst in 1972 erstellt und darüber hinaus bekam die BRCV erst per 27. September 1972 den offiziellen Segen ihrer nationalen belgischen Automobilsporthoheit KBAC.) und der bereits 1993 verstorbene Deutsche Bernd Ziskofen (Anm.: Das erste Rallycross in Buxtehude wurde am 21. Mai 1972 von Jan de Rooy im DAF 555 Sportcoupé mit Variomatic-Allradantrieb und Ford-BDA-Motor gewonnen.) haben sich später öfter mal als die kontinentalen Entdecker oder Erst-Importeure der neuen Disziplin darstellen wollen. Alles barer Nonsens niemand war schneller als oben erwähnter Rob Herzet und seine Mitstreiter, die auch bereits am 1. November 1969 die NRV (Nederlandse Rallycross Vereniging) gegründet haben. Und mit ihrem Eurocircuit (am damaligen "Eurostrand") in Valkenswaard bei Eindhoven, das am Samstag, dem 17. April 1971 mit einem Rennen eröffnet wurde, das Jan de Rooy im DAF 55 Coupé 4WD (hier noch von einem "zahmen" Gordini-Motor angetrieben) gewann, haben sie auch Europas erste Rennstrecke ausschließlich für den Rallycross-Sport geplant und gebaut. Realisiert wurde sie dank großzügiger Unterstützung des Automobil-Unternehmers Pierre Jonkers.
1971: Der Brite Rod Chapman (Ford Escort RS1600) und der Niederländer Hans Kok (NSU 1200 TT) im Jahre 1 des Eurocircuits.
Nur kurze Zeit später fuhr der Siegeszug auch in Richtung Norden los, wo das erste so genannte Rallycross Schwedens bzw. Skandinaviens am Sonntag, dem 17. Oktober 1971 auf der angepassten Moto-Cross-Bahn von Hedemora absolviert wurde. (Anm.: Warum auch hier "so genanntes Rallycross"? Einerseits kann ich auf keinem einzigen der mir davon vorliegenden 16 Bilder auch nur annähernd "befestigte" Streckenabschnitte erkennen. Andererseits gab es in Schweden eine Gruppe maßgeblicher Leute, die den damals verwendeten Begriff Rallycross strikt ablehnten und für das von 6.000 Zuschauern besuchte Hedemora-Meeting vehement den Namen Autocross reklamierten.) Der Sieger war übrigens niemand anders als der auch heute noch sehr aktive Oldie Per Eklund, zu der Zeit jedoch mit einem relativ biederen SAAB 96 V4 ausgerüstet.
Im Jahre 1973 wurde die Embassy-Rallycross-Europameisterschaft (der Vorläufer der heutigen FIA-EM-Serie) vom Ex-Jockey John Taylor mit einem Ford Escort RS 1600 BDA gewonnen. Mancher Augenzeuge des EM-Finales von Lydden schwört noch heute Stein und Bein darauf, dass der Titel eigentlich Rod Chapman zustand. John Taylor (im Benelux-Raum wegen seiner großen Sprüche auch gerne "Ali" Taylor genannt und von den Österreichern als "Schneider-Hansl" zum "Hausneger" erklärt und somit quasi eingebürgert) soll in den Endläufen eine Streckenmarkierung umfahren oder umgeworfen haben, was eigentlich mit einer Zeitstrafe hätte geahndet werden müssen. Wie auch immer, die Rennleitung verhängte keinerlei Sanktionen und somit schlossen die beiden Ford-Teamkollegen die EM-Serie mit jeweils 81 Punkten ab. Da Taylor jedoch mehr Gesamtsiege auf seinem Konto hatte (Taylor 3 vs. Chapman 1), ist der Schotte ein für alle Zeiten der 1. Europameister des Rallycross. Österreich (im Mai), Deutschland (im Mai), Belgien (im Juni), Holland (im September), England (gleich zwei Läufe, einen im September und das EM-Finale im November) und Schweden (ersetzte mit dem vorletzten Lauf im Oktober relativ kurzfristig das früh wieder abgesprungene Frankreich) waren die sechs Länder, die diese leider noch inoffizielle EM durchführten. Initiiert wurde sie vom Deutschen Bernd Ziskofen in Zusammenarbeit mit Lydden-Veranstalter TEAC (der für Wills auch organisatorisch die Fäden zog) und finanziert vom Hersteller der Embassy-Zigaretten, dem britischen Tabakkonzern W.D. & H.O. Wills. (Anm.: Auf weitere einzelne Rennen will ich in diesem Text nicht eingehen, da ich plane, von wirklich jedem je gefahrenen RX-EM-Lauf einen Kurzbericht zu verfassen, den man nach seiner Fertigstellung an einer anderen Stelle in dieser Historien-Rubrik finden wird.)
1978: Martti Kangas (Porsche Carrera), hier in Maasmechelen, war einer der ersten Finnen, die an der Rallycross-EM teilnahmen.
Für 1974 kam mit Finnland eine weitere EM-Lauf-Nation hinzu und am 14. Dezember desselben Jahres gründeten die Clubs der Veranstalter in Amsterdam-Schiphol (auf Anregung von Bernd Ziskofen) die European Rallycross Association. Da sich Wills nach zwei Jahren als Sponsor wieder ganz anderen Dingen zuwendete, schrieb die ERA für 1975 eine eigene RX-EM aus. Die wurde aber auch schnell von der Weltautomobilsportbehörde FIA in Paris akzeptiert, die für 1976 vollends das Sagen übernahm und erstmals einen FIA Europapokal für Rallycross-Fahrer ausschrieb. Waren wegen Paris schon für 1973 alle 4x4-Autos und "Open Specials" (für RX wurde sogar mal ein Lola T210C gebaut!) wieder aus dem Sport verbannt worden, so war Ende 1975 auch endgültig Schluss mit den RX-"Zwittern". Die VW-Käfer mit Porsche-Carrera-Motoren (300+ PS), DAF-"Hausfrauen-Wägelchen" mit Ford-BDA-Motoren (200+ PS), Ford Escorts mit BMW-F2-Motoren (250+ PS) usw. verschwanden für immer von der Bildfläche und die neuen Sportgeräte mussten zukünftig den Gruppe-5-Regeln der FIA folgen. Der österreichische Ex-Müller Franz Wurz (Vater von F1-Pilot Alexander Wurz), fuhr einen werksunterstützten Lancia Stratos HF 2.4 (erst mit Zweiventil-, dann mit Vierventil-Zylinderkopf) zum ersten Titel mit Prädikat der FIA. Für 1979 wurde die Euro-Serie dann sogar noch etwas weiter aufgewertet und die damals aufgehende Supernova am RX-Himmel, der Norweger Martin Schanche, wurde mit seinem Ford Escort RS 1800 BDA der erste wirklich lupenreine FIA-Rallycross-Europameister.
1979: Jan de Rooy wird von Teamkollege Martin Schanche (beide Ford Escort RS 1800) über den Eurocircuit in Valkenswaard gehetzt.
Von 1978 bis 1981 wurden die Tourenwagen und GT-Fahrzeuge getrennt gewertet. In 1978 bekam der Fahrer mit der höchsten Punktzahl aus beiden (!) Kategorien, Martin Schanche, den FIA-Europapokal, während der andere "Sieger" und halboffizielle GT-Champion, der Österreicher Andy Bentza, für die FIA leider nur ein "Vize" ist. (Anm.: Da aber auch John Taylor für 1973, Franz Wurz für 1974, Cees Teurlings für 1975, Tony Kuypers für 1993 und Susann Bergvall [heutige Susann Hansen und Gattin von Kenneth Hansen] für 1994 keine Europameister mit dem hochoffiziellem Segen der FIA sind, gilt auch Andy Bentza in der Szene selbst als Titelträger!) Für 1979 erhielt auch die GT-Division einen eigenen Cup von der FIA, den Schwedens Olle Arnesson im Porsche 911 Carrera eroberte. Ab 1980 gab es dann endlich zwei vollwertige FIA-Europameisterschaften nebeneinander und im Jahre 2001 kam sogar noch eine dritte hinzu.
Zwei Rallycross-Helden der 1970er: Die beiden Österreicher Franz Wurz (links) und Andy Bentza.
Zwischen 1982 und 1992 war die Division 1 offen für Gruppe-A-Fahrzeuge, allerdings einzig mit Zweiradantrieb. Egil "der mit dem Golf tanzt" Stenshagen (VW Golf GTI 1.6) aus Norwegen wurde 1982 der erste Europameister dieser Klasse. In 1983 wiederholte er seinen Triumph noch einmal im 1.8-l-GTI. Zu den absoluten Dominatoren wurden hier jedoch die beiden Schweden Anders Norstedt (SAAB 900 Turbo) und Kenneth Hansen (Ford Sierra RS 500 Cosworth), die sich gleich drei bzw. vier EM-Titel hintereinander an ihre Fahnen heften konnten. In der Division 2 gab es die sogenannten "Specials", extrem modifizierte Autos mit einer ursprünglichen Homologation für die Gruppe A oder B. Innerhalb von zwei bis drei Jahren fuhren die Topleute allesamt Wagen mit Vierradantrieb und Motoren, die 500 bis 750 PS stark waren. Franz Wurz feierte sein Comeback als 1982er-Europameister in einem Audi quattro aus Ingolstadt, mit dem er die Rallycross-Renaissance des Allradantriebs einläutete, nachdem die erste Generation der 4x4-Renner (eine eigene Story darüber ist geplant und wird später folgen!) wegen der FIA ja schon Ende 1972 in die Wüste geschickt worden war.
1988: Herbert Breiteneder (VW Golf GTI 16V) und Bjørn Skogstad (Ford Sierra RS 500 Cosworth) im wilden Zweikampf in Lydden.
Im Jahre 1986 wurden die zwar arg umstrittenen, aber extrem spektakulären Gruppe-B-Boliden nach wiederholten Unfällen aus der Rallye-WM verbannt und fanden daraufhin ihr letztes internationales Reservat im Rallycross. Nach einer regelrechten Invasion in 1987 brachten diese Dinosaurier den absoluten Höhepunkt für unseren Sport, bevor sie Ende 1992 endgültig dem Aussterben preisgegeben wurden. Der erste Gruppe-B-Champion war der Finne Seppo Niittymäki in einem Peugeot 205 Turbo 16 E2. Ihm folgte sein Landsmann Matti Alamäki, der sich nach einem eher durchwachsenen Jahr mit einem Lancia Delta S4 einen gleichartigen Evo-Peugeot vom Werk sichern konnte, um dann damit gleich drei EM-Titel in Folge zu hamstern. Martin Schanche (Ford RS 200 E2) in 1991 und Englands Will Gollop (ARG MG Metro 6R4 BiTurbo) in 1992 komplettierten das halbe Dutzend. Und, um es an dieser Stelle noch ein für alle Mal klarzustellen, lieber Leser: Genau diese sechs Jahre markieren das wahre goldene Zeitalter des Rallycross!
Jede Menge "Vitamin B": Martin Schanche (Ford RS 200 E2) und Herbert Breiteneder (Audi Sport quattro S1) fahren Seite an Seite in die erste Kurve beim EM-Lauf 1989 in Melk. Dahinter: Will Gollop (MG Metro 6R4), Pekka Rantanen (Ford RS 200 E2), Terje Schie (Peugeot 205 Turbo 16 E2) und Gastfahrer Walter Mayer (im Ford RS 200 E2 "rent-a-car" von Schanche).
Nach den sechs überaus gehaltvollen "Vitamin-B-Jahren" war ab 1993 die Rallycross-EM für drei verschiedene Arten von Autos offen: In der Division 1 gab es Gruppe-N-Rennwagen mit Allradantrieb, Division 2 war der Tummelplatz für 550+ PS starke "Specials" mit gültigen Homologationspapieren der Gruppe A und der ERA 1400 Cup (der erste ging an den Belgier Tony Kuypers) war der "Kindergarten", die Spielwiese für RX-Junioren in zweiradgetriebenen Gruppe-N-Fahrzeugen mit maximal 1400 ccm Hubraum. Paris sah sich die Einsteigerklasse zwei Jahre lang an und gab dann mit einem FIA-Europapokal für 1995 (der erste Gewinner war Ko Kasse aus den Niederlanden) seinen endgültigen Segen dazu. Für 2001 wurde der "Cup" dann in einen vollwertigen EM-Titel umgewandelt und Deutschlands Sven Seeliger machte sich zum ersten 100%-Champion dieses "Hornissen-Geschwaders".
Ludvig Hunsbedt (Ford Escort RS Cosworth) aus Norwegen holte sich den ersten Titel der Gruppe-N-Kategorie, während sein Landsmann Eivind Opland später diese Division vollends beherrschte und nicht weniger als vier Mal in Serie Europameister mit den verschiedenen Evolutionsstufen von Mitsubishis schier unschlagbarem Lancer wurde. Der Franzose Jean-Luc Pailler konnte auf einen Erfahrungsvorsprung aus seiner Heimatserie zurückgreifen, wo die Gruppe-A-"Specials" schon etwas früher eingesetzt wurden, und holte sich mit seinem Citroën BX GTI T16 4x4 die 1993er Goldmedaille der "Big Guns".
1997 wurde endlich ein Problem für alle Rallycross-Laien aus der Welt geschafft worden, als nämlich "Ritter" und "Knappen" doch noch ihre Ställe wechseln durften. Wie bei den Formel-Kategorien war jetzt auch in der Rallycross-EM die Division 1 das "Oberhaus" (oder die so genannte Königsklasse) und die Division 2 nur mehr das "Unterhaus". Ab 1999 wurden in der Division 1 auch World Rally Cars und Kit-Cars zugelassen, obwohl die FIA heutzutage echte WRCs einzig in der Rallye-WM starten sehen will und sie (wie auch die Kit-Cars) deswegen im April 2003 für die Rallycross-EM explizite wieder ausgeschlossen hat.
Zwei, die Rallycross-Geschichte(n) schrieben: Martin "Mister Rallycross" Schanche und Kenneth "His Kennyness" Hansen.
Ab 1999 wurde die Division 2 erneut mit anderen Autos bestückt. Wegen der ständig steigenden Kosten mussten die mit Allradantrieb und Turbomotoren ausgerüsteten Wagen abgeschafft werden und man ersetzte sie durch zweiradgetriebene Gruppe-N-Fahrzeuge mit Saugmotoren bis 2000 ccm Hubraum. Kenneth Hansens Neffe, Magnus Hansen, holte sich hier den ersten EM-Titel mit einem Citroën Xsara VTS. (Anm.: Somit kann die "RX-Hanse" inzwischen auf insgesamt drei Titelträger verweisen, holte sich doch die heutige Ehefrau von Kenneth 1994 noch unter ihrem Mädchennamen Bergvall den ERA 1400 Cup.) Wie auch immer, vier Jahre später kam dann das Aus für die 1400er-"Zwerge". Seit dem 1. Januar 2003 ist die Division 2A nur noch Historie und ihr "Ersatz", die neue Division 1A, preislich gleich um einige Hausnummern weiter oben angesiedelt. Die neue Formel lautet: "RX-Specials" mit Gruppe-A-Homologation, einzig Frontantrieb und Motoren bis 1600 ccm Hubraum. Leider sind die von einigen maßgeblichen Leuten als viel zu teuer verschrienen und deswegen unerwünschten piekfeinen "Super 1600 Cars" vom Rallyesport hier nicht zugelassen. Der Tscheche Jaroslav Kalný, der für 1997 und 1998 bereits zwei Titel der 1400er-Klasse einsacken konnte, wurde am Ende der Saison 2003 der erste Titelträger der neuen 1600er-Kategorie.
Apropos: Nach insgesamt 32 abgespulten Europameisterschaften muss man feststellen, dass die meisten Länder der Anfangsjahre noch immer Wertungsläufe austragen. Es gab allerdings auch Nationen, deren Versuchsballon ziemlich schnell wieder abstürzte. Die wenigsten Auftritte vom EM-Zirkus sah Italien (Rallypista Santo Spirito in Gropello-Cairoli bei Pavia: vier Jahre), Dänemark (Ring Djursland in Tirstrup bei Grenå: nur zwei Jahre) und Spanien (Circuito de Sils bei Girona: drei Jahre). Und wenn man Wales einmal (wie z. B. im Fußball üblich) völlig unabhängig von Großbritannien betrachtet, sollte man nicht vergessen, dass auf der Rundstrecke Pembrey Circuit bei Llanelli die zwei lausigsten EM-Läufe bis dato veranstaltet wurden. Schaut man einmal in die Liste der Europameister, dann wird klar, dass zwei Piloten weit über allen anderen rangieren. Der Norweger Martin Schanche ist mit seinem legendären Ruf und sechs EM-Titeln (allesamt aus der Königsklasse!) für alle Zeiten zum "Mister Rallycross" geworden, weil kein anderer diesem Sport je stärker seinen Stempel aufgedrückt hat. Sein Langzeit-Erzrivale Kenneth Hansen (inzwischen bereits zwölffacher Champion!) hat Schanche zwar schon vor geraumer Zeit in der Gesamtmenge der gewonnenen Titel als Spitzenreiter abgelöst, doch zog "His Kennyness" erst im September 2003 auch in der Summe der Königsklassen-Titel endlich an Martin vorbei. Und während der Schwede plant, seinen Goldmedaillenbestand weiter aufzustocken, hängte der Wikinger nach dem Ende der Saison 2001 den Helm endgültig an den Nagel.
© Eddi Laumanns (Letztes Text-Update: September 2005)